Noch bevor in allen bedeutenden Tageszeitungen am morgigen Tag frenetische Feuilletons zu meiner inΒszeΒnaΒtoΒrischen GroΓleistung erscheinen, mΓΆchte ich Ihnen, werte Fratzenbuch-Freunde, mΓΆglichst neutral meine eigenen EindrΓΌcke der denkwΓΌrdigen UrauffΓΌhrung meines StΓΌcks „Die tausend eitrigen Siechen des St. Nikolaus“, welches ich β nicht ganz zu Unrecht, wie ich meine β als Kulmination meines dramatischen Weihnachtsspiel-Schaffens erkenne, schildern. An dieser Stelle sei auch meinem Ensemble nochmals explizit fΓΌr die Mitwirkung gedankt. Man kann, so denke ich, durchaus mit einigem Stolz auf das Erreichte blicken und sollte die teils unschΓΆnen Szenen, die sich im unmittelbaren Anschluss abspielten, keinesfalls ΓΌberbewerten. Bestenfalls kann man sie zum Gradmesser dafΓΌr nehmen, daΓ die Disruption der gefΓ€lligen Selbstvergewisserung eines nur noch an harmlos-wohlfeile Weihnachtsspiele gewohnten Publikums als hehre Aufgabe des Laientheater-Schaffenden wohl gerade dann als besonders geglΓΌckt zu gelten hat, wenn man die Gemeinde-Mehrzweckhalle frΓΌhzeitig, unfreiwillig und fluchtartig verlΓ€sst.
Nun aber genug der langen Vorrede. Was war passiert? Oder besser: Was ΓΌberhaupt intendiert? Γber meine BeweggrΓΌnde muss ich, so glaube ich, keine groΓen Worte mehr verlieren. Nur so viel: Muss man sich denn ernsthaft wundern, daΓ nicht einmal mehr das ungezogenste GΓΆr den St. Nikolaus zumindest ein bisschen fΓΌrchtet, wenn er doch bei nΓ€herem Hinsehen heutzutage nur noch als weichlicher Lieferant zuckriger LebensverkΓΌrzer fungiert, sozusagen als zauselbΓ€rtiger Diabetes-Dealer mit seltsamem Hut? Wo bleibt da die Ehrfurcht, wo der Respekt vor der imposanten Lebensleistung dieses Ausnahme-Heiligen? Fraglos schien ein entschlossenes Gegensteuern dringend angezeigt. Und so hatte ich mein StΓΌck ganz in diesem Geiste als Parforceritt durch die zahlreichen Wundertaten des Heiligen aus Myra angelegt, sozusagen ein sakrosanktes Kammerspiel, gelegentliche Menetekel keineswegs ausgeschlossen!
Wie aber, so lautete zweifellos die Ausgangsfrage, kann es gelingen, das fΓΌr seine nachgerade mikroskopische Aufmerksamkeitsspanne geradezu berΓΌchtigte infantile Publikum fΓΌr eine derart ernste Thematik zu interessieren? Ganz klar: man musste mit einem echten Knalleffekt beginnen! So hatte ich gerade die Wirkung der ersten Szene wohlkalkuliert und verfolgte vom BΓΌhnenrand (besser gesagt dem Aufbewahrungsraum der Turn-GerΓ€tschaften) einigermaΓen siegesgewiss, wie Frl. Radka und Frl. βRuby Goldβ, genauestens observiert von 34 leuchtenden Halblings-Augenpaaren, in ihrer ΓΌblichen Arbeitskleidung um viertel nach sechs die BΓΌhne betraten. Zu den beiden Damen nur so viel: Aus den genannten dramaturgischen Γberlegungen hatte ich mich entschlossen, mit der Legende vom Geldgeschenk zu beginnen. In dieser (selbstverstΓ€ndlich wahren) Geschichte errettete der St. Nikolaus einen verarmten Mann nobler Herkunft aus misslicher Lage. Er konnte nΓ€mlich die Mitgift fΓΌr seine TΓΆchter nicht aufbringen und sie deshalb nicht anstΓ€ndig vermΓ€hlen. Als einziger Ausweg erschien dem bedauernswerten Mann, seine TΓΆchter dazu zu zwingen, sich im Γ€uΓerst ungΓΌnstig reputierten Hafenviertel von Myra den SeemΓ€nnern feilzubieten. Was blieb dem armen Menschen auch anderes ΓΌbrig? Der heilige Nikolaus kam ihm schlieΓlich zu Hilfe, indem er in drei aufeinanderfolgenden NΓ€chten einige GoldmΓΌnzen unter seiner TΓΌr durchschob.
Da mir gerade bei dieser entscheidenden Szene AuthentizitΓ€t als besonders wichtig erschien, hatte ich mit den genannten Damen echte Professionelle engagiert, die in meinen Augen am besten imstande waren, die mit dem bejammenswerten Schicksal der TΓΆchter einhergehende Verzweiflung mit dem gebotenen Nachdruck zu verkΓΆrpern. Und was soll ich sagen? Mein Plan ging ganz famos auf! Beide improvisieren kaugummikauend etwa drei Minuten einen Monolog ΓΌber die FΓ€hrnisse des Dirnen-Daseins, bevor ich im Nikolausgewand die BΓΌhne betrete und jeder einige MΓΌnzen zustecke, woraufhin mich die beiden jubilierend ihrer Dankbarkeit versichern und wir alle drei Hand in Hand die BΓΌhne verlassen. Vorhang und anerkennendes Raunen, insbesondere bei der versammelten Elternschaft.
In der nΓ€chsten Szene eine abrupte RΓΌckblende in die Kindertage des heiligen Mannes: Ich, mich als Baby-Nikolaus nur mit einer Pampers bekleidet auf einem BΓ€renfell rΓ€kelnd, erwarte wonnig brabbelnd die Ankunft meiner Frau Mutter, ebenfalls verkΓΆrpert von Frl. Ruby. Kenner der Materie wissen bereits: hier wird die Legende nacherzΓ€hlt, nach der Nikolaus schon als SΓ€ugling so fromm war, daΓ er die Brust der Mutter an den Fastentagen stets nur einmal nahm, was das Frl. Ruby nach mehrmaligem Angebot, welches ich mit ablehnendem KopfschΓΌtteln quittiere, mit publikumswirksamer Bewunderung kundtut. Vorhang und Schweigen im gerΓΌhrten Auditorium.
In der dritten Szene wird dem Publikum keine Ruhepause gegΓΆnnt und das ErzΓ€hltempo nochmals erhΓΆht. Behandelt werden die Auferweckung der zerstΓΌckelten Scholaren und die Rettung der zum Tode verurteilten Feldherren. Den Zuschauern bietet sich eine verstΓΆrende Szene: Zur Rechten Herr Kleinschmidt von Kleingartenverein in seiner bewΓ€hrten Rolle als zerhackter Scholar im Salzfass, aus dem nur Kopf und Arme ragen und somit den tΓ€uschend echten Eindruck abgetrennter GliedmaΓen vermitteln. Zur Linken meine Halma-BrΓΌder Furtmayer, GroΓ und von Nortz als bereits am Galgen baumelnde Feldherren, wobei hier leider der doppelte Boden versagte, was andererseits der AuthentizitΓ€t der Darbietung ΓΌberhaupt nicht schadete. Einige Liter Kunstblut verliehen dem schrecklichen Panorama zusΓ€tzliches Gewicht. Eiligen Schritts betrete ich im KostΓΌm die BΓΌhne, spanne das Publikum aber noch gehΓΆrig mit einem Monolog ΓΌber Schuld, SΓΌhne und die verheerenden Folgen mangelnder Folgsamkeit auf die Folter, bevor ich schlieΓlich den ZerstΓΌckelten wieder ganz mache und die ErhΓ€ngten vom Galgen schneide. Vorhang.
Folgen sollte nun eigentlich ein vierzigminΓΌtiges Zwischenspiel, das detailliert die Ereignisse beim Konzil von NicΓ€a unter BerΓΌcksichtigung der kanonischen Implikationen nacherzΓ€hlt. Freilich kam es dazu nicht mehr. Inzwischen hatte sich gerade in den hinteren Reihen, also auf den Eltern-PlΓ€tzen, einiger Tumult entwickelt, der noch vor der ersten Bekenntnisverbrennung in wΓΌtenden Zwischenrufen und schlieΓlich im VerstΓ€ndigen der OrdnungshΓΌter gipfelte, was einen vorzeitigen Abbruch der VorfΓΌhrung letztlich alternativlos machte. Immerhin nahmen die durchaus physischen Auseinandersetzungen mit den Eltern beim Verlassen der Mehrzweckhalle jene SchlΓ€gerei vorweg, in der die Konzil-Szene ohnehin gipfeln sollte.
Was lΓ€sst sich abschlieΓend festhalten? Γrgerlich bleibt sicherlich, daΓ ich die besonders ausgeklΓΌgelte Abschluss-Szene nicht mehr zur AuffΓΌhrung bringen konnte, die das postume Quellenwunder besonders anschaulich dargestellt hΓ€tte: Aus dem Kopfende des Nikolaus-Sarkophags entspringt kurz nach seinem Tode eine SalbΓΆl-Quelle. Dazu hatte BΓ€ckermeister Schmied ein lebensgroΓes Marzipan-Abbild meiner Wenigkeit auf einer Grablege aus Biskuit prΓ€pariert, aus dessen Kopf nach einem Wehklage-Monolog der FrΓ€uleins Radka und Ruby unter allgemeinem Hallo ein sprudelnder Brunnen aus weiΓer Schokolade entsprungen wΓ€re. Der ehemals zerstΓΌckelte Scholar hΓ€tte sodann mit den Worten βNun ist es mit dem Alten aus – gelobt sei der St. Nikolausβ das Buffet erΓΆffnet. So blieb die sΓΌΓe KΓΆstlichkeit leider unverzehrt, was die bedauernswerten Kindlein nicht zuletzt der mangelhaften Bibelfestigkeit ihrer Erzeuger zu verdanken haben. Immerhin konnte Herr Kleinschmidt, der seine Kleptomanie-Selbsthilfegruppe aus ZeitgrΓΌnden schon seit Monaten nicht besucht hat, vorausschauenderweise die Kindergartenkasse entwenden, mit deren Inhalt wir den Frls. Ruby und Radka sogleich den wohlverdienten Lohn auszahlten.
Ich muss wohl wieder einmal damit leben, meiner Zeit wenigstens drei Tode mit anschlieΓender Wiederauferstehung voraus gewesen zu sein. Mein Vorhaben allerdings, nΓ€mlich mit Nachdruck auf die eigentliche Bedeutung des Nikolausfestes hinzuweisen, ist zweifellos grandios geglΓΌckt. WΓΌnsche weiterhin eine besinnliche Adventszeit!
Vorhang.
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