Historische Exkurse

Die Rache des Gutvik

Β»[…] Als besonders perfider Vertreter der spΓ€ten, aber dafΓΌr umso effizienteren Rachenahme darf ohne Zweifel der SchwedenkΓΆnig Gustav II. Adolf (1594-1632) gelten, der durch sein beherztes Eingreifen in den DreißigjΓ€hrigen Krieg zwar den Fortbestand des Protestantismus in Deutschland zu sichern wusste, jedoch bei LΓΌtzen, von einer Musketenkugel getroffen, auf den Schlachtfeld einen hundeelenden Tod starb (Fig. 1). Mehrere Quellen schreiben dem nordischen Potentaten zu, noch kurz vor seinem Ableben seine HΓ€scher mit einem in farbigen Worten verflucht zu haben, wobei er ihnen im Kern prophezeite, noch Jahrhunderte „die Γ„pfel von meinem Pferde [das Schlachtross „Streiff“, N.G., Fig. 2] zu fressen und auf dem Holze meines Donnerbalkens den Nachwuchs zu zeugen.“ Lange als leere Drohung verlacht, war der Todesfluch Gustav Adolfs allenfalls noch auf die frΓΌhe Neuzeit spezialisierten Skandinavisten ein Begriff, als ganze 339 Jahre nach seinem Ableben in Eching bei MΓΌnchen – wohlgemerkt mitten im Kernland des konfessionellen Todfeindes – ein System-MΓΆbelhaus namens „IKEA“ erΓΆffnete, welches sich vom schwedischen Mutterland aus durch seine gΓΌnstigen Preise schon bald in ganz Deutschland etablieren konnte. Der Beginn einer beispiellosen Erfolgsgeschichte. Schon bald strΓΆmten von ΓΌberall her die Nachfahren einstiger Landsknechte in ΓΌberfΓΌllte IKEA-Filialen mit angeschlossener Gastronomie, wobei sie meist ein „KΓΆttbullar“ (Fig 3.) genanntes BΓ€llchen-Gericht dubioser Herkunft verspeisten und aus Sperrholz bestehende MΓΆbel mit im Deutschen oftmals anrΓΌchig klingenden Produktnamen erstanden. Seither wollen mehrere Zeugen aus dem Skatophag Gustav Adolfs im Riddarholmskyrkan regelmÀßig ein leises Kichern vernommen haben.Β«

Aus: Gunsser, Nikodemus: Wer einst noch auf dem Gutvik schlΓ€ft. Fluch und spΓ€te Rache im Laufe der Geschichte. TΓΌbingen, 1982.gustava

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Wilder (deutscher) Westen

Die AuthentizitΓ€t der Werke Karl Mais gilt heutzutage bekanntlich weithin als widerlegt. Dabei verlacht man insbesondere die Tatsache, daß seine Version des Wilden Westens letztlich aus ein paar Indianern und ansonsten fast ausschließlich aus deutschen Akademikern besteht. Dabei kann ich Ihnen aus schmerzlicher Erfahrung sagen: Gerade diesbezΓΌglich hat der gute Herr Mai sogar eher noch untertrieben. Ich sage Ihnen eins: Um die Jahrhundertwende waren die amerikanischen GrenzlΓ€nder in puncto Germanensichtungen teils schlimmer als heutzutage die Balearen! Man machte sich auf den beschwerlichen Weg ΓΌber den Atlantik, reiste westwΓ€rts, befreundete sich mΓΌhevoll mit den Indianern, bis sie einen schließlich sogar „weißer Bruder“ nannten β€” und letztlich entpuppte sich der HΓ€uptling doch wieder nur als Exil-Altphilologe aus dem Breisgau.

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Heute in der Reihe: „DenkwΓΌrdige Katastrophen der Sprachwissenschaft“:

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Eine linguistische Forschergruppe entdeckt die erste Nutzwerbewertung des „Google Play Store“ (2019, KΓΌnstler unbekannt).

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Der Fenstersturz in der sozialen Medienschau

Nur die Γ„lteren unter Ihnen werden sich erinnern: 400 Jahre ist es inzwischen her, daß protestantische Aufwiegler kaiserliche Verwaltungsbeamte vΓΆllig ohne Rechtsgrundlage aus dem Fenster der Statthalterei auf dem Hradschin zu Prag warfen, eine damals gar nicht so unΓΌbliche Form der Ingrimmskundmachung. Und obschon dieser zweite Prager Fenstersturz ein glimpfliches Ende fand – die derart ungebΓΌhrlich hinausgebetenen WΓΌrdentrΓ€ger landeten angeblich in einem Misthaufen – waren die Implikationen dieser Episode doch nicht ganz unerheblich: Bekanntlich betrachtete man die Chose, aller Situationskomik zum Trotze, wenig humoristisch und fΓΌhrte die nΓ€chsten dreißig Jahre einen durchaus ernstzunehmenden Konflikt.

WΓΌrde sich dies epochale Ereignis heutzutage zutragen, wΓ€re der Ablauf wohl ein anderer. In dem Fall hΓ€tte der umstehende PΓΆbel vermutlich rasch seine Handfernsprecher gezΓΌckt und die Bilder der in den Kuhmist purzelnden WΓΌrdentrΓ€ger wΓ€ren schnell eine millionenfach geteilte, selbst aufstoßende Miezekatzen ΓΌbertreffende Tagessensation in den einschlΓ€gigen sozialen Netzwerken. Auch die politischen WΓΌrdentrΓ€ger der beteiligten Parteien wΓΌrden selbstredend via „Twitter“ ebenfalls ihren Senf beimengen und alsbald wΓ€re der Ton schrill und hysterisch, in „Tweets“ und „Retweets“ wΓΌrde man Zeter und Mordio schimpfen, sich mit Atomkriegen bedrohen – und schließlich zum nΓ€chsten Aufreger weiterziehen, wΓ€hrend die Fensterszene wohl noch ein paar Jahre als schierer Treppenwitz durch die niedersten Humorgefilde des Internets geistern wΓΌrde, periodisch geteilt in illustren Gruppen wie „Ich hab kein Humor, aber der is echt zum brΓΌlln“, mutmaßlich verziert mit von Kinderhand aufgekritzelten FroschkΓΆpfen.

So bleibt uns nun, da wir diese kleine Parabel beschließen, nur die beruhigende Erkenntnis, daß der aufgeklÀrte Mensch von heute wegen eines banalen Misthaufen-Sturzes sicher nicht zur Waffe greift oder gar das Haus verlÀsst; dafür wurde früher, und auch das muss man sagen, lÀngst nicht so viel Unsinn erzÀhlt. Auf die nÀchsten 400 Jahre!

 

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Gelenk und Gesinnung

Β»Jedenfalls muss diese Nazi-Zeit schon ganz schlimm gewesen sein.Β«
»Ja, wirklich. Ich meine, man soll ja nicht alles unbesehen glauben, was man liest oder im Fernsehen sieht, aber ich weiß es ja aus erster Hand! Mein Großvater hat mir das alles genau erzÀhlt!«
Β»Ach, tatsΓ€chlich?Β«
Β»Ja, natΓΌrlich. Er hat in dieser Zeit ja gelitten wie kein anderer. Er sagte immer: „Überall haben mich diese Nazis diskriminiert, wo sie nur konnten“.Β«
Β»War er im Widerstand?Β«
Β»Das nicht…Β«
»Oder gehârte Ihr Herr Großvater vielleicht zu einer Randgruppe? Die hatten es ja unter den Nazis besonders schwer.«
Β»Ja, so war es!Β«
Β»Oh! War er Jude?Β«
Β»Nein, ich bitte Sie! Das war er nicht und das konnte er auch beweisen!Β«
Β»Sinti und Roma?Β«
Β»Nein, nein! Er war, naja, sagen wir „gehandicapt“Β«
Β»Geistig?Β«
»Nein. Er hat nur bei diesem Hitlergruß nicht mitgemacht.«
Β»Ah, so eine Art alltΓ€glicher Protest also?Β«
Β»Nein. Ein orthopΓ€disches Leiden.Β«
Β»Wie?Β«
Β»Naja, er hatte es halt am Ellbogengelenk. Deshalb fiel ihm dieses stΓ€ndige Armheben ausgesprochen schwer. Das wiederum mochten die Nazis ΓΌberhaupt nicht. Deshalb haben sie ihm auch beruflich das Fortkommen vermiest, so viel sie konnten.Β«
Β»Oh, also quasi wegen seiner Behinderung? Schlimm!Β«
Β»Ja, in der Tat! Aber er hat sich davon nicht beirren lassen und dagegen abgekΓ€mpft wie ein LΓΆwe.Β«
Β»Mutig! Mit Erfolg?Β«
Β»Allerdings! Irgendwann hat er erreicht, daß man ihn mit einem amtsΓ€rztlichen Attest vom Hitlergruß freistellt. „DarΓΌber habe ich mich noch mehr gefreut als ΓΌber den Arier-Nachweis“, sagte er immer.Β«
Β»Aber ein Gegner blieb er dann doch auch noch, nehme ich an?Β«
Β»Nun ja. Er hat natΓΌrlich auch dann nicht alles kritiklos gut gefunden. Aber im Gegensatz stand er ja „tendenziell eher orthopΓ€disch als einstellungsmÀßig“, wie er immer sagte.Β«
Β»Ach so?Β«
»Naja, wissen Sie, mein Großvater war ja Studienrat. Von der Gesinnung her waren seine Handlungsmâglichkeiten eben noch begrenzter als von den Gelenken.«

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Die „Nazarether Bindung“

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Β»[…] FΓΌr Irritation – ja bisweilen gar fΓΌr EmpΓΆrung – bei der Pilgerschaft sorgt noch heute allenthalben die sogenannte „Nazarether Bindung“, welchselbige dereinst als „letzter Schrei“ bei juvenilen Delinquenten galt, von mittelalterlichen KΓΌnstlern aber aufgrund ihres keck-lasziven Charakters oft durch den deutlich braveren „Bethlehemer Schurz“ ersetzt wurde. Der berΓΌhmte „Sternschnytte unseres Heylants in foler Groeß“, welcher der Erstausgabe der Lutherbibel beilag, prΓ€sentierte die originale Schurzbindung erstmals wieder einer breiteren Γ–ffentlichkeit. In der von Papst Leo eilends verfassten Enzyklika „Castae condere obductis“ wurde die AuthentizitΓ€t der gewagten HeilandshΓΌllung energisch bestritten. Freilich konnte er damit nicht mehr verhindern, daß sich der Nazarether Schurz alsbald als beliebtes FreizeitkleidungsstΓΌck in den frischreformierten Gebieten durchsetzte. Selbst Luther hΓΆchstpersΓΆnlich soll ich des Γ–fteren im neckisch umgeschwungenen Lendengewande prΓ€sentiert haben, was allerdings aufgrund der stetig sich mehrenden LeibesfΓΌlle des Chef-Evangelen rasch zu einem Abebben jenes frΓΌhreformatorischen Modetrends fΓΌhrte.Β«

Aus: Gunsser, Nikodemus: Von „Size Zero“ bis zum Stigma-Tunnel. Der Heiland am Kreuz als als Stilikone. TΓΌbingen, 1925.

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Weisheit zum Montag

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Andere Zeiten, andere BΓΆller

Heutzutage scheint man das Knallern im urbanen Raum ja nachgerade als erstes Bürgerrecht zu erachten. Früher zog der Deutsche es vor, vâllig selbstlos für seine Nachbarn bunte Feuerwerke zu veranstalten. Der Katzenjammer hub dereinst erst an, als die Bâller schließlich auch über den heimischen StÀdten herniedergingen. Wie sich die Zeiten doch Àndern.

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VΓΆllig zu Unrecht in Vergessenheit geratene Redewendungen

Heute:

„Der Teufel verliert immer beim Strip-Poker.“

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Eine kurze Geschichte des Schwitzens

Wer hierzulande der heilsamen Transpiration frΓΆnen will, wird in den allermeisten FΓ€llen eine finnische Saunalandschaft aufsuchen. Nahezu gΓ€nzlich aus der ΓΆffentlichen Wahrnehmung verschwunden ist hingegen die indianische SchwitzhΓΌtte, die heutzutage allenfalls bei esoterisch beseelten Sinnsuchern einigen Anklang findet, ansonsten aber ein eher trauriges Nischendasein fristet.

Dabei schienen die Zukunftsaussichten der Schwitzhütte nach der Entdeckung der neuen Welt geradezu glÀnzend: Im Gegensatz zum bis Dato bekannten râmischen Dampfbad war die indianische Variante nach damaligen MaßstÀben für ein GebÀude geradezu unerhârt leicht zu transportieren und überdies ausgesprochen günstig in der Anschaffung. Freilich war die damals noch recht schwachbrüstige amerikanische Wirtschaft nicht im Ansatz dazu imstande, die steigende Nachfrage auf der anderen Seite des Ozeans zu bedienen. Eine Marktlücke, die der Altâttinger Kaufmann Kuntz zu Holzhardt alsbald erkannte.

Holzhardt, im Hexenverfolgungs-Boom des 16. Jahrhunderts mit der Produktion von Folterinstrumenten frΓΌh zu Wohlstand gelangt, legte 1558 einen eigenen Entwurf fΓΌr eine β€œHutta fur gar wassirig Switz-Vroide” vor. Allerdings hatte Holzhardt bei seiner SchwitzhΓΌtte im Vergleich zum Original einige tiefgreifende Γ„nderungen vorgenommen.

Der tiefglΓ€ubige Holzhardt wollte in der heidnischen β€œUr-SchwitzhΓΌtte” einen entscheidenden, mit dem rechten Glauben unvereinbaren Schwachpunkt ausgemacht haben. So war er der Überzeugung, daß es sich fΓΌr einen guten Christen schlicht nicht schicke, der wonnevollen KΓΆrperreinigung zu frΓΆnen, ohne dabei in ausgleichender Demut das Antlitz des Herrn schaun zu kΓΆnnen – das Haupt des Saunierenden musste sich folglich zu jeder Zeit im Freien befinden. Auch in puncto Formsprache ging der bayerische VisionΓ€r eigene Wege. Seine HΓΌtten-Konstruktion orientierte sich an der Tiara – der zeremoniellen Krone des Papstes.

Allerdings unterlief dem sittenstrengen Holzhardt bei seinem Konzept ein entscheidender Fehler: Im Gegensatz zur indianischen HΓΌtte, die durch einen konventionellen Eingang betreten werden konnte, ersann er fΓΌr seinen Entwurf im Sinne des Γ€sthetischen Gesamtbildes ein elaboriertes System, das aus heutiger Sicht hanebΓΌchen anmuten mag, aber durchaus dem medizinischen Kenntnisstand den 16. Jahrhunderts entsprach: Der Kopf des SchwitzhΓΌtten-Besuchers wurde mit einem entschlossenen Ruck mit der Streck-Maschine (selbstredend ebenfalls aus Holzhardts Sortiment) vom Torso getrennt und erst im dann wieder aufgesteckt, wenn der KΓΆrper durch ein tunnelΓ€hnliches Rohr ins HΓΌtteninnere verbracht worden war.

Was fΓΌr Holzhardt hΓΆchst eintrΓ€glich war, wurde fΓΌr die lokale Wirtschaft schnell zum Problem: die vermeintlich frischerholten Lehensnehmer agierten bei der Feldarbeit ΓΌberraschend kopflos und mussten fast ausnahmslos nach den im Mittelalter ΓΌblichen Gepflogenheiten frΓΌhverrentet werden.

Gemeinsam mit den ersten Probanden wurde auch die Idee des Gesundschwitzens vorerst begraben. Es sollte noch einige Jahrhunderte dauern, bis sich die Sauna schließlich auch hierzulande durchsetzte.

Holzhardt indes fiel, ganz Tausendsassa, auch nach dieser Schlappe auf die Füße. Er konzentrierte sich wieder aufs KerngeschΓ€ft und konnte seine verhinderte SchwitzhΓΌtte nach dem Aufkommen der hochnotpeinlichen Befragung erfolgreich als Folterinstrument vermarkten – und man darf wohl mit Sicherheit davon ausgehen, daß die Holzhardt-HΓΌtte trotz ihrer Umwidmung noch so machen Delinquenten gehΓΆrig ins Schwitzen brachte.

[Bilder: Oben: Holzhardt mit einem Modell seiner SchwitzhΓΌtte. Unten: Zeichnung aus dem originalen Patent-Dokument]

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